Montag, 17. Juli 2006

Von den irdischen Sekunden

Da, ein Geräusch. Man schaut sich kurz um, und schon ist man vierzig Jahre alt. Erschöpft legt man sich hin, ein kurzes Nickerchen wird Abhilfe schaffen. Kaum, daß man wieder erwacht, ist man auch schon tot.
So und nicht anders ist nämlich das Leben.

Freitag, 30. Juni 2006

Von Bugenhagen und die Kleinlichkeit der Angefressenen (mißglücktes erstes Kapitel eines niemals fertiggestellten Romans)

Ich stand an der Kampmannsbrücke und gedachte der Toten, der Herabgestürzten, deren Leichname am Grund des Flusses in den Algen ruhten, von Nematoden zernagt und von den Lebenden vergessen. Sogleich kamen mir die Gerippe in den Katakomben Roms in den Sinn, und nichts blieb mir, als den Kopf zu schütteln vor lauter Rat- und Rastlosigkeit.
Wohl zwei bis drei Tage hatte ich so auf der aufgeständerten Eisenbahnbrücke verbracht, nachgesonnen und mir das wirre Haar von den Strahlen einer graugesichtig gewordenen Sonne bleichen lassen, bis ich eines Abends eine Hand verspürte, die sich mit spinnenbeiniger Nervosität auf meine rechte Schulter legte.
Es war, wie könnte es anders sein, mein alter Bekannter von Bugenhagen, der im schwarzen Frack samt strahlend weißer Hemdbrust aussah wie ein recht ambitionierter Leichenwäscher aus dem viktorianischen England.
"Mein Lieber", sprach er, "dies ist kein guter Zeitpunkt, und dies ist kein guter Ort. Begleiten Sie mich bitte ins nächstgelegene Gasthaus. Ich werde den Schankwart anweisen, uns nach allen Regeln der Kunst abzufüllen."
Dankend nahm ich den ausgezeichneten Vorschlag an.
Wir

Freitag, 2. Juni 2006

Von den Freuden der Ordnung

Da ich ja langsam in ein Alter komme, in dem andere ein Haus zu bauen gedenken, ihr Auto polieren oder gar den Bund der Ehe eingehen, ich aber von alldem weder Ahnung habe noch Lust verspüre, auch nur einen Jota vom Pfade der Untugend abzuweichen, muß zumindest im kleinen ein Kompromiß geschaffen werde, daß ich mich nicht alsbald in einer Vorhölle wiederfinde wegen liederlicher Lebensführung. Nun gut, da wird die Bude aufgeräumt, daß es nur so staubt. Also sprach Hartwig Wennefelder!
Gleichsam, nichts überstürzen soll ein wacher Geist wie ich nunmal einer bin, und so wird ein jeder Zettel noch achtmal umgedreht. Das Ergebnis bleibt zunächst abzuwarten.
Wohl aber fand ich in einer Ausgabe der wahnsinnig öden Zeitschrift "Demokratie und Recht" von 1989 oder eventuell auch in einem Religionsbuch, das ich in der achten Klasse stahl, um aus den bunten Bildern von Säulenheiligen, bekehrten Hurenschindern und abgewrackten Tempelanlagen der Urchristen schöne Einlegezettel für die Punkcassetten meiner Freunde zu basteln, wohl fand ich dort eine von Thomas Koester und mir gestaltete Visitenkarte, deren Text wie folgt lautet:

Engler & Koester. Drehbuchautoren. "Wir haben noch schlechtere Ideen als Sie - aber wir können "Sie" nicht aufschreiben!" (Tel 0173 6396398, aber mein Akku ist alle)

"Haha", dachte ich da, "so eine lustige Erinnerung an längst vergangene Tage! Wie waren wir doch verrückt in jungen Jahren!"

Ein Blick auf die Rückseite des Visitenkartenentwurfes ließ mich jedoch baß erstaunt zurück: Einzelkarte HOCHBAHN, 2.Kl.Nahbereich - datiert: 07. 02. 05.

Dienstag, 30. Mai 2006

Vom Verschwinden des Sperlings

Nun wies mich Kamerad Müller auf die Tatsache hin, daß die Spatzenpopulationen in den Metropolen in den letzten Jahren merklich in sich zusammengeschrumpft sind. Ich konnte dem nur zustimmen.
Woran mag es liegen? Es scheint, der Sperling, der ja bekanntlich der Bohemien und Träumer unter den geflügelten Gesellen ist, ein regelrechter Lebevogel also, ist sich der Gefahr, die für ihn an Leib und Leben besteht, noch immer nicht bewußt: Elstern und Raben, Dohlen und Möwen bestimmen das Stadtbild. Vögel also, die in Sachen Umfang, Höhe, Aggressionspotential, Skrupellosigkeit und Verschlagen- sowie Verfressenheit ihren friedlichen Artgenossen erheblich, nunja, überflügeln.
Allüberall machen sie sich breit, verzehren vor den Äuglein der Piepmätze deren Abendmahl, Nest und Brut nehmen sie zum Dessert, der Sperling denkt nur: "Naja, laß ich ihn mal machen, der wird sich schon beruhigen."

Nur wenige Tage später dann soll Vogelhochzeit bei Sperlings gefeiert werden, doch wo ist der Ring? "Piep, piep, wo ist der Ring?" ruft der Spatzenmann aufgeregt, der Dompfaff stimmt ein in den Klagegesang, und die Elster war schon längst beim Juwelier! Hat den Ehering verpfändet! Die Spatzenfrau macht sich von dannen, mit dem Weichling ist ja kein Blumentopf zu gewinnen.
Der Spatzenmann geht auch weg, diese Stadt ist nichts für ihn. Er läßt sich nieder am Belt, oder er baut ein Einvogelnest am Kattegatt, endlich Ruhe. Auch der Zugvogelquatsch jedes Jahr interessiert ihn nicht mehr, er bleibt eben vor Ort, winters kann er ja noch in einer Bauernkate hinterm Ofen wohnen, er ist klein und unauffällig, nur der Hofhund wittert ihn an manchen Abenden, doch hat auch er sich längst vom Jagdinstinkt verabschiedet. "Regressiver Quatsch!" sprach er unlängst zur Hofgans, die ihm erfreut zustimmte.
Im Frühjahr bleibt der Spatzenmann dann auch gleich in der besagten Kate, tagsüber fliegt er ein wenig umher und macht sich so seine Gedanken oder auch mal einen Ausflug ins nahegelegene Kopenhagen, ach, Raben, Dohlen, Elstern, na, das ist nichts für mich, ich flieg wieder zurück, der Hofkater hat doch noch diese neue Briefmarkenserie mit Kräutermotiven, wars jetzt Ghana oder Trinidad und Tobago? Komische Welt, in der manche Länder ihr Bruttosozialprodukt hauptsächlich mit Briefmarken erwirtschaften, obwohl die dann keiner auf Briefe klebt! Das hat doch der Wiedehopf letztens auch schon gesagt, oder wars der Zilpzalp?
So flattert der kleine Vogelmann heim und hängt seinen Gedanken nach. Nur an die Familienplanung wird er keinen einzigen mehr verschwenden. Und somit alsbald verschwinden.

Samstag, 6. Mai 2006

Kurze Versöhnung mit dem Laufe der Zeit

Cato dem älteren ähnlich, nämlich der tiefsten Überzeugung, daß Karthago bzw. also alles, samt Raum und Zeit, zerstört werden müsse, betrat ich aus strahlendem Sonnenschein heraus einen Supermarkt für Subalterne. Dort bemächtigte ich mich einiger Kinkerlitzchen und begab mich nach kurzer Konfusion zur Kasse und konnte dort beobachten, wie eine Art Penner - obschon: Penner war er nicht, eher ein altgewordener Proletarier, der die Trunksucht an den Nagel gehängt hatte (zwei Sechserpacks mit Anderhalbliterzitronenlimonadenflaschen füllten u.a. neben allerley Wurstwaren den Einkaufswagen) - wie dem auch sei, jener Herr gewährte soeben einer jungen Mutter samt nölendem und nörgelndem Nachwuchs Vorlaß, auf daß der Sprößling Ruhe gebe. Was er nicht tat, selbstredend, und die Mutter, jung, en vogue und asozial, herrschte und haderte, daß es nur so ein Dreck war. Selbstredend überfordert von den einfachsten Verrichtungen des Alltages, was sie nicht sympathischer machte, hatte sie sich offenbar beim Lesen des Tiefkühlfischpreises vertan: ganze zwei Euro weniger hatte sie erwartet. Ein Paket Fisch mußte demnach zurück in die Truhe. Beherzt nahm der hilfreiche Rentier die Sache und den Fischkarton in die Hand und warf sie mit reichlich Schwung im Ärmel dem herannahenden Mitarbeiter in die Hände, der sie vor dem Auftauen zu schützen hatte (zurücklegen).
Das Fischwurfgeschoß hatte da allerdings schon ein über dem Mehrwegflaschenkarton hängendes Schild gestreift und eine der beiden feingliedrigen Ketten, mit welchen das Schild an der Decke befestigt war, durchtrennt. Haltlos bommelte es da nun schief neben der Kasse herum. Da war ich kurz nahezu selig, daß mich weder der Großeinkauf des Pesnionisten noch seine 28 einzeln abzuzählenden Pfandflaschen noch seine Fehlleistung, mit Karte zu zahlen, in Haß und ungesunde Gesichtsfarbe schlittern ließen. Später am Tage hatte ich zwar wieder äußerst schlechte Laune, wohl aber nicht in der halben Stunde nach diesem kleinen Erlebnis.

Freitag, 14. April 2006

Das Weltkügelchen

Kein sinnschwärender Worteiter heute, keine letztgültigen Weisheiten aus dem verstaubten Fundus eines trunksüchtigen Sentimentalisten, auch keine Märchen von klugen Bewohnern des Meeresgrundes, die ihr Leben in der unendlichen Stille und Weite des Ozeans so viel genüg- und geruhsamer gestalten als wir hier oben auf dem Morast, der sich Festland nennt und die wir stolpern und wanken durch das karstige und garstige Gestrüpp von Liebe, Ärgernis, Wahn und Wohlstand. Keineswegs werde ich heute ein Gewürzgedicht ersinnen oder gar den 'Dialog des Monats' (geführt, dies nebenbei erwähnt, von Torben Leske und Hartwig Wennefelder an einem verkaterten Sonntagabend in einer verrauchten Spelunke) niederschreiben.
Nein, all dies hat Zeit, wenngleich der Baum, aus dessen Holz der Sarg, in den man mich alsbald hineinwuchten wird, gar sicherlich schon ins Blaue sprießt - auch wenn man den Umweg über die Altpapierfabrik mit einrechnen sollte, denn was wird mich wohl anderes erwarten als nur ein schäbiger Kasten aus Preßpappe, aber das nur nebenbei - nein, am heutigen Tage möchte ich nur eine simple Tatsache zu Schirme bringen: jeder Mensch sollte einen Globus besitzen. Das zumindest ist meine Meinung.

Mittwoch, 22. März 2006

Zu Besuch beim Altbundeskanzler

Neulich, es mag wohl drei Wochen her sein, sattelte ich mein Streitroß Werner von Emmontspohl und ritt aus gen Rhöndorf, um dort meinen alten Freund Konrad Adenauer zu besuchen. Ich wollte ihm nachträglich zum hundertdreißigsten Geburtstag gratulieren, den er Anfang Januar im tiefverschneiten Elternhaus begangen hatte, es soll, wie ich vernommen habe, ein rauschendes Fest gewesen sein, mit Spanferkel, Krautsalat und einigen Fäßchen Wein vom Privatweingut der grauen Eminenz. Leider hatte mich just an jenem Tage meine Heroinsucht ans Bett gefesselt, sodaß ich der Feier fernzubleiben hatte.
Als ich mich dem ehrwürdigen Backsteinbau näherte, vernahm ich bereits das vertraute Quieken und Gackern, und nur wenig später, ich spazierte soeben mit Werner durchs Gartentor, hörte ich die Schlachtaxt auf den schweren Klotz niedersausen. Hernach war Ruhe. Konrad stand, oliv geschürzt, am Schuppen und ließ das soeben geschlachtete Huhn ausbluten. Freudestrahlend hob er die Hand zum Gruße: "Hartwig! Wat en Freud, nä! Kummes hä, isch han noch ne Stonsdorfer opjemaat!"
Wenig später saßen wir beim Schnaps in der urigen Küche, Konrad rupfte das Huhn und wir hatten uns viel zu berichten. So hatte ich vor kurzem den Verlust zweier Kakteen zu beklagen, die Adenauer mir bei einer Kegelfeier zu Ehren des Nato-Doppel-Beschlusses überreicht hatte. Wir hatten sie damals Salt I und Salt II geheißen, aus reiner Sentimentalität. Konrad hingegen ereiferte sich lauthals über seinen neuen Nachbarn, "ne unerträglisch fiese Möp", wie er sagte. Stets klagte "dä Kappeskopp" über die laute Musik, die er, Konrad, mit seiner Psychobilly-Combo De appen Beine fabrizierte.
Es war ein schöner Tag, es gab vieles zu erzählen, und als die Nacht ihre Fühler nach uns ausstreckte, war der Stonsdorfer geleert, das Hühnchen gebraten und verzehrt, und auch Konrads famoses Erdbeersoufflé hatte seine Schuldigkeit getan.
Wir umarmten uns nach der Art, wie es nur zwei ritterliche Dahergelaufene tun, ich stieg auf mein Roß und stob von dannen. Beim nächsten Geburtstag, so hatte ich es mir und meinem Schicksalsverächter geschworen, würde auch ich wieder mitsingen und zechen bis in den Morgen hinein. Und so wird es kommen.

Montag, 13. März 2006

Also sprach Hartwig Wennefelder

Die Mühlen meines Lebens mahlen langsam, lediglich der Tod naht in Siebenmeilenstiefeln, bald schon werde ich am Horizont sein verlaustes Gewand im Faulwind flattern sehn, die rostige Sense am Kettenhemd seiner müden Schindmähre klappern hören. Dreißig bis fünfzig Jahre möchte ich mir noch geben, dann werde ich ohne Murren die Zielgerade der Aschenbahn des Hierseins betreten, soll doch das Gewürm mich doch alsbald zu feiner Blumenerde verarbeitet haben, es ist schließlich das einzig gerechte Wesen auf Erden.
Bin ich dereinst also eingesargt und verscharrt, so könnte man mir auf den Leichenstein folgende Worte einmeißeln:
"Hier ruht jener Mann, dem einst auffiel, daß sich die Wörter 'Alphorn' und 'Amphore' um nur zwei Buchstaben unterscheiden."
Genau dies habe ich nämlich vor einigen Tage festgestellt, und ich bin mir sicher, daß
a) vor mir noch keiner diese erstaunliche Tatsache bemerkt hat und daß
b) ebenjene Erkenntnis die luzideste ist, zu der ich je gelangt bin und jemals gelangen werde.

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