Freitag, 29. März 2019

Drei Tatsachen

I)
Der Musiker Alex Zhang Hungtai hat eine neue Schallplatte veröffentlicht. Als ich dieser Tage im drogeninduzierten Delirium zu frühmorgendlicher Stunde in die Stammkneipe einschwirrte, spielte der Wirt sie ab; und die formidable Dröhnmusik wirkte psychoakustisch auf mich ein. Vorvorgestern präsentierte Huangtai "Divine Weight" im Hafenklang. Ich ging nicht hin, da ich einen Hipster-Alarm befürchtete, und was können Hipster nicht? Sie können nicht zwei Minuten schweigen, was bei dieser Musik ein Sakrileg ist, und darüber hinaus höre ich dergleichen ohnehin lieber in schlechter Gesellschaft, also meiner, in heimischer Kontemplation. Dennoch besuchte ich, um etwas über den zu erwartenden Befüllungsgrad des Konzertortes herauszufinden, die "Veranstaltungsseite" auf facebook. Dort erfuhr ich wenig, wohl aber, daß eine Person mit dem interessanten Namen Happiest Donmoen verlautbaren ließ: "Meine Familie und ich kauften 4 Tickets für diese Show. Leider ist einer meiner Söhne krank. Ich bin sehr traurig darüber, aber ich möchte nicht bereuen, dass ich die Tickets gekauft habe. Bitte kommentieren Sie, wenn Sie Tickets benötigen, die ich kontaktieren kann. Ich bin bereit, meine Tickets zu einem erschwinglichen Preis auszugeben. Vielen Dank" - kaum zu glauben!
Ungleich bestaunenswerter jedoch der Hilferuf von Oluwaloni Stoner Chase Yrn: "😂😂😂😂😂😂 Ich werde nicht mehr an der Veranstaltung teilnehmen, da mein Sohn gesund war. Ich habe fünf digitale Tickets zum Verkauf erhalten. Wenn Sie einen Dank benötigen" - die völlig besinnungslos eingesetzten Emotika so wie die "geniale temporale Begründungsstruktur" (Musiker Aosuke) werfen ja nun schon die Frage auf, ob dergleichen von wahrscheinlich künstlicher "Intelligenz" entworfene Betrugsversuche nicht schlicht als eigene Literaturform anerkannt werden sollten.
Wie auch immer, ich blieb daheim, wo ich mit der Liebsten zwei kostspielige Biere austrank, die ich vordem im Bierfachgeschäft Beyond Beer erstanden hatte. Es ist, da bin ich mir ja im Glasklaren darüber, so eine Sache mit der Craftbeerhuberei. Auch zurechnungsfähige Menschen beklagen oder belustigen sich erbost darüber und kippen sich halsstarrig Jever in den Schlund, wie z.B. der Hamburger Trommelkünstler Martin Boeters, der jedoch auch mal allen Ernstes Warsteiner im Kühlschrank hat! Allein, man muß sich ja nicht gemein machen mit den nach erfolgreichem Physikstudium aussehenden Bier-Experten-Heinis, die tagtäglich im Laden stehen und siegesgewiß fachsimpeln. Viemehr zieht man sich in eine wenig belebte Ecke des Ladens zurück, tauscht mit dem Musiker Aosuke eine von diesem aus Katalonien importierte Fuet gegen eine Folge der hyperinteressanten Mixtape-Reihe "Zilveruitjes" (was übrigens so viel wie "Silberzwiebelchen" heißt) des Ultra Eczema-Labels aus Belgien sowie eine gut erhaltene Ausgabe von "Die Pietisterey im Fischbein-Rocke" von Luise Adelgunde Victorie Gottsched und plaudert über des anderen neu erwachte Leidenschaft für das Gun Club-Hören. Jeffrey Lee Pierce, Oberdandy des Schützenvereines, hatte sich bereits mit neunundzwanzig Jahren eine Leberzirrhose erarbeitet!
Was zu Tatsache
II)
führt: egal, wie viel Mühe wir uns geben, das schaffen wir als im vierzigsten Lebensjahr sich Befindende nicht mehr. Was wir auch anstellen, Jeffrey Lee Pierce war besser! Dafür ist er ja auch schon tot.
Und Tatsache III? Tatsache III habe ich vergessen. Nein, Tatsache
III)
ist mir soeben wieder eingefallen! Am heutigen Tage werde ich im Vorgarten Vergißmeinnicht aus dem Nachlaß von Gunter Gabriel pflanzen.

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