Dienstag, 18. Dezember 2018

Zu Besuch im Haco

Es gehört ja durchaus zu den komplizierteren Angelegenheiten der Um-die-40-Seier, einen gemeinsamen Termin mit mehr als zwei Personen zu finden. Mithin unkompliziert gestaltet es sich bisweilen bei den Ex-Punks, schwieriger wird es da schon bei verelterten Pop-Heinis oder in der Erlebnisgastronomie Schuftenden - ersteres Segment hier repräsentiert von Knut "Hansmaria Richter" Stenert, zweiteres von mir selbst. Dritter im Bunde der Meistenszeithaber Deniz Jaspersen; und moderne Kommunikationsmittel ermöglichten dann doch allgemein zufriedenstellenden Terminfund. Selbstredend sagte der in diesem Falle Triebfederdarsteller S. wegen eingeschleppter Seuche ab, was Deniz J. nur mit "Wir gehen alleine! Keine Widerrede!" kommentierte. So gefällt der Mann mir, und was er nicht weiß: ich wäre sogar ganz alleine gegangen, so wir ich einst, von allen Völlereifreunden im Stich gelassen, alleine ins Restaurant Vlet gegangen bin. Im übrigen tatsächlich gegangen, da es für mich zum guten Ton gehört, vor und nach einem 170-Euro-Menü zu geizig für eine Kurzstreckenfahrkarte zu sein, aber das hat ja ideologische Gründe.
Nun! Pünktlich wie ein Maurer stand ich im Laden "mitten in St. Pauli, also im Herzen Hamburgs", wie die Homepage des Ladens etwas hölzern prahlt (es geht aber noch klappriger: "So leidenschaftlich der Ort, so emotional und intuitiv die Küche." - nunja, Werbetexter!).
Zufrühkommer Jaspersen hatte bereits Platz genommen, der freundliche Herr vom Sevice nahm mir den heruntergekommenen Parka ab und bot zunächst einen 2009er Moet mit Auster an. Sachten wir nicht nein, und mußten auch zugestehen, daß die 18,50 für das Glas nicht zu hochgestapelt waren. Austerntechnisch würde ich mich ja nicht zum Experten mogeln, beiweitem noch nicht, da fehlt mir noch etwa ein Dezennium Austernerfahrung - aber diese war nun wirklich mehr als zufriedenstellend.
Und zur Sache:

rilette
Als erster Gruß aus der Küche hausgemachtes Entenrillette auf knusprigem Graubrot. Irgendwie ja ein grobes Gericht und wahrlich, nicht unsalzig. Allerdings ein toller Kontrast zu Auster und Champagner und ein guter Start in den Abend.

bete

Rote Bete in vier Variationen. Falls ich mich recht entsinne: auf Haferkeks (der leider langweilig war oder zu groß) als Gelee, rehydriert (sehr gut!), quasi als Praline mit Ziegenkäsefüllung (sehr fein) sowie als Creme in einer Frühlingsrolle (die Gewinnerin).
Nebenbei bemerkt hatte sich das sonst jedwedem Besäufnis keineswegs abgeneigte Duett dazu entschlossen, nur eine halbe Weinbegleitung zu bestellen. Da wir leider zum Glück doch sehr viel Privates zu verhandeln hatten, wurde auf eine Weinbegleitungsdokumentation kurzerhand verzichtet, am besten gefiel uns jedoch ein apulischer Rotwein. Namen sind Schall im Rausch.

blumenkohl

Hier wurde es sehr interessant: Eigelb, Kartoffel und Blumenkohl in de- und rekonstruierter Form, roh oder gepoppt (hierzu der schlichte * Begleiter: "Schmeckt wie Pom-Bär!") (*keine Sorge, wutentbrannte Gegendarstellung ist bereits in Arbeit!) - ein erlebsnisreicher Gang mit einer etwas zu winzig geratenen Portion Ossietra-Kaviar, die allerdings umgehend zu Spekulationen über die eigene berufliche Zukunft in einer alteingesessenen Kaviarmanufaktur führte. Allein, nicht sonderlich weit. Auch bemerkenswert: das (wahrscheinlich) zielführende, rücksichtslose Vermengen aller Komponenten zu einem Löffelklatsch verbot zumindest mir tatsächlich der Respekt vor der Mühe, die in den Einzelteilen steckte! Das gewöhnen wir uns auch noch ab.

pastete

Als "weihnachtlich" angekündigte Rehpastete mit geräuchterter, eingelegter Aprikose. Ein vorzüglicher Gang, wobei die "Weihnachtlichkeit" der Pastete doch etwas zu zaghaft umgesetzt wurde; hier wäre mehr Gewürz tatsächlich mehr gewesen. Im übrigen
gilt das auch für die grandiose Aprikose, die zusammen mit der cremigen Pastete wirklich ein vollendetes Duett einging: beide Vertreter der Maßlosigkeit hätten sich ein zweites Stück Obst auf dem Teller gewünscht. Setzen, dennoch eins.

marone

Kann es sein, daß der Marone endlich die Aufmerksamkeit zuteil wird, die sie immer schon verdient hat? Wenig Worte seien gemacht: In Kombination mit scharf angebratenem Rosenkohl und einem am Boden versteckten Backpflaumengelee war diese Maronensuppe (schreibe niemals: Süppchen, Barbar!) schlicht ein Schritt zum Glück. Sehr schön, danach waren alle zufrieden.

topi

Und dann dies: Topinambur quasi als Ofenkartoffel im Einklang mit hausgemachter, geräucherter Butter. Der Begleiter schimpfte diesen Teller einen 'quatschigen' Gang, ich daselbst bescheinigte der Knolle eine schlechte Handhabbarkeit, das Genestel und Gewurschtel beim Befreien des Fruchtfleisches aus der Schale war sicherlich äußerst unansehnlich, aber es hat ja niemand geguckt. Vor allem aber frage ich mich, wieso die Butter als geräuchert angekündigt war - davon war nämlich leider rein gar nichts zu schmecken. Schade, ein vielversprechender Gang, der in seiner Schlichtheit sicherlich überzeugen hätte können, aber die Fragwürdigkeit seiner Einzelteile ließ dies nicht zu. Lediglich die Schnittlauchröllchen waren wirklich einwandfrei.

fisch

Folglich der Fisch. Der auf der Karte angekündigte Heilbutt war leider nicht eingeschwommen; was es als Ersatz gab, ist mir unverzeihlicher Weise entfallen. Als jemand, der jedoch gerade mal Aal von Bismarckhering unterscheiden kann, darf ich das allerdings. Ein versöhnlicher Gang mit beurre blanc, Jakobsmuschelmayonnaise, Chips von der Petersilienwurzel und ein wenig Grünzeug. Schön salzig, das ist wichtig zu später Stunde, und wirklich Freude bereitend.

bauch

Und dies: die große Versöhnung. Sous vide gegarter Schweinebauch mit knackigem Grünkohl, einer grandios dichten Sauce und einem vielleicht etwas sparsam beigefügten Stückchen Birne. Ein Gedicht von krossen Hexametern, fetten Jamben und … oh, entschuldigt: Der Dollase war in mich gefahren! Oder irgend ein anderer Feuilleton-Trottel. Im Ernst - genau so muß ein siebter Gang daher kommen, Vollendung und Plättung!

flammeri

Pre-Dessert: ein kleines Flammeri an geeistem und geraspelten Joghurt auf irgendeiner Waldbeere. Schon schön, wobei mir die Aufgabe des Joghurts eher als eine verwässernde Idee daherkam.

merengue

Zum Abschluß eine Meringue von der Haselnuß mit einem Kern von Schwarzwurzelparfait und versteckter Preiselbeere. Zwei Liebhaber von Schwarzwurzel mußten jedoch die konstruktive Kritik abgeben, daß das zwar hervorragende Parfait zugunsten der auf so viel Zuspruch stoßenden Meringue ein wenig zu dick im Bauch derselben steckte.

Hernach die übliche Frage nach Kaffee. Blitzgescheit kontert der Begleiter mit der Frage nach einem Bier. Denn, und damit hat der Mann nunmal Recht: ein Kaffee nach dem Essen ist Quatsch. Man begibt sich dann gefälligst nach Hause, denkt über die Menufolge nach und geht schlafen. Man braucht keinen abschließenden Koffeinschock. Über einen Schnaps läßt sich reden, auch wenn er nur die Aufgabe hat, einen noch besoffener zu machen. Die hat das Bier ja schließlich auch!

Während des Bierglasaustrinkens - übrigens ein Störtebeker, wobei ich mich frage, was ausgerechnet dieses doch eher unspektakuläre Bier in so viele gastronomische Einrichtungen auch gehobenerer Art gebracht hat - wurde uns noch das fast vergessene allerletzte Tellerchen mit einer Schlehenpraline gebracht. Diese war nicht nur sehr köstlich, sie paßte interessanterweise auch sehr gut zum Bier.

Fazit sey: Ich fand es für das Gebotene ein wenig zu hochpreisig, den Service aber freundlich und zuvorkommend. Die in diesem Text stiefmütterlich behandelte Weinbegleitung war absolut tadellos. Unsereins besucht in naher Zukunft ohnehin erstmal noch die vielen weißen Flecken auf unserer Spachtellandkarte.

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