Montag, 14. Mai 2018

Kaltfront auf dem Hafengeburtstag

Durchaus eher zufällig kam mir zu Augen, daß die aus Dresden stammende Punkband Kaltfront auf der Jolly-Roger-Bühne im Rahmen der zweifelsfrei mittlerweile als verhaßte Maßnahme der Eventhuberei gelten müssende Kackveranstaltung "Hafengeburtstag" aufspielen täte. Grund genug für mich jedoch, aus einer Mischung aus Neugierde und Sentimentalität mal Richtung Hafenstraße zu eiern, und zwar im Verbund mit dem geschätzten Genossen Alex T., mit welchem ich am späten Nachmittag just pünktlich zum wohl unverschämtesten Linecheck aller Zeiten aufschlug: die als Hamburger "Urpunk" oder so angekündigte Band C3I (nun, wie macht man denn hier ohne größere Umstände diese Hoch-3-Drei?) schaffte es tatsächlich, qua im Viertelstundentakt abgehaltener Instrumententests, den Zeitplan radikal in Verzug zu bringen - ob das schlicht mißverstandene "Professionalität" war oder tatsächlich mit der Veranstaltung abgesprochen, sei mal dahingestellt und mir auch gleichgültig, ging uns aber doch gehörig auf die Nerven: wir sind auch alt und orientieren uns nunmal gerne an Zeitplänen, Punks!
CeeCubicEye erbarmten sich nach geraumer Zeit dann also zum Beginn, und zuvörderst der mit schweren Kopfhöreren und noch schwererer Tom-Behandlungs-Vorliebe ausgestattete Schlagzeuger ließen uns nach kurzer Zeit den Geschehensort wieder verlassen. Die ungute Idee, den Hafengeburtstag auch an seinen noch unangenehmeren neuralgischen Orten zu betrachten, erwies sich als nachgerade beschissen, als wir an der NDR-Bühne die von einer unsäglichen Top-40-Band dargebotene, mit Sicherheit leidenschaftsloseseste und allerschlechteste Version aller Zeiten des ohnehin schon überaus zweifelhaften Kings of Leon-Liedes "Sex On Fire" bestaunen durften. Daß zeitgleich zum ekelerregenden Auftritt dieser Pennercombo aus allen Rohren hupende Dampfer die Elbe herabglitten und die (Eigen-?)komposition "Shut Up And Dance!" in Grund und Boden posaunten, tat unserer Laune allerdings sehr gut.
Nun! Nachdem ich den Genossen bei seiner Barschicht im "Grünen Jäger" abgeliefert hatte, begab ich mich nach kurzem Umweg zum Altglascontainer wieder zurück zur Jolly-Bühne direkt beim "Onkel Otto", wo ich noch das letzte Lied der Band Wirrsal miterleben durfte; deutschprachiger Crustpunk mit Kriegsbemalung: "Voll auf die Fresse!" - beachtlich.
Immerhin schaffte es die Kaltfront, Aufbau und Linecheck innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit zu absolvieren und den Abend nahezu in den Zeitplan zurückzuhieven.
Was soll ich sagen! Trotz des vor allem zu Beginn eher diskussionswürdigen Sounds stellten sich umgehend bei "Von hier bis zur Ewigkeit" und "Tot wie Spielzeug" vor Rührung meine Nackenhaare auf. Offenbar sind diese Lieder völlig unkaputtbar, und der wirklich sehr gute neue Schlagzeuger tut dem ganzen keinen Abbruch. Überhaupt war dem Tonbrei zu entnehmen, daß die Band aktuell ausgesprochen ausgezeichnet ist; und die dezent zur Schau gestellte Arroganz des Sängers (der Ende der 80er schonmal dabei war, wobei ich nicht weiß, ob er z.B. auf dem 'Mini-Tape' gesungen hat, vermutlich aber: nicht) gefiel mir sehr gut. Aber: hat der eigentlich die ganze Zeit Kaugummi gekaut? Der hat doch zwischendurch auch geraucht! Das ist doch bekanntlich in Verbindung wahnsinnig gesundheitsschädlich!
Wie auch immer: Daß ich die letzten Hamburgkonzerte der Band wegen Absenz oder schlichter Ignoranz immer verpaßt habe, kann man durchaus als ärgerlich bezeichnen. In Sachen melancholischer Punkrock ist die Kaltfront nämlich eine Ausnahmeerscheinung, und zwar weil es ihnen an Blasiertheit, Gespreiztheit, überkandidelter Theatralik und zur Schau gestellter Lappendepression fehlt. Vielmehr zeichnen sich die Texte durch eine gesunde Distanz aus, auch in den teilweise recht gnadenlosen Selbstbetrachtungen. Und auch musikalisch umgeht man dezent jedes Pathos.
Aber zum Glück ärgere ich mich ja nicht mehr. Auch nicht darüber, daß mir die haushaltsüblichen Punks und die mit Punkveranstaltungen einhergehenden Begleiterscheinungen mittlerweile genau so auf die Nerven gehen wie die herkömmlichen Besucherinnen und Besucher solcher Drecksereignisse wie dem Hafengeburtstag.
Kurzum, kurz nach dem letzten Ton der Kaltfront verließ ich beseelt den staubigen Ort des Geschehens und latschte vollkommen bierfrei nach Hause. Das sei hier nämlich nochmals betont: Dieser Samstag war unalkoholisch. Eigentlich schade.

Interessante Frage: Ist der "neue" Gitarrist Willi Löffler etwa der Neffe von Bassist Sonic Jörg?

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