Donnerstag, 11. April 2019

Ben Bertrand & Jean D.L., Hörbar

Ich hatte Besuch von einem Manne, der mir berichtete, er habe sich Schuhe aus Yakleder gekauft. "Barfuß oder Yakschuh…" erschallte es sogleich in der Imagination.
Da der Mann ein treusorgender Gatte ist, ging er nach dem Genuß einer Schale Vanillepudding am frühen Abend zu Bett, um die Angetraute um vier Uhr morgens ausgeschlafen im Kleinstwagen zum Hamburger Flughafen zu bringen. Eine lustige Vorstellung, denn der Mann ist ein Hüne und kann im rostigen Ford Ka zweifelsohne nur wie ein Clown sitzen. Weswegen ich ihn übrigens mit Franzbranntwein versorgen mußte, denn selbstredend litt er wegen der Winzkarosserie an schmerzhaften Rückenverspannungen!
Weil nun also alle zu tagheller Stunde bereits im Bette lagen, eierte ich alleine in die Schluchten der Stadt. Ziel war zunächst das "Uebel und Gefährlich", wo Bela B. Felsenheimer aus seinem Debutroman las. Nicht ununterhaltsam, doch letztlich war der Laden zu menschenvoll, sodaß ich mich fehl am Platze wähnte und von dannen schlich. Ziel war nun: die Hörbar, seit Äonen staubige Heimstatt wunderlicher Experimentalmusik. Nach meinem Dafürhalten hat keine Stadt hierzulande eine so winzige Interessentengemeinschaft für abwegige Töne, wie Hamburg sie hat. Was die Besuche in diesem Biotop für seltsam Wirkende immer ein wenig beklemmend macht, zumindest, wenn man gänzlich allein dort auftaucht und allenfalls ein paar Gesichter, selten aber Namen begrüßen kann.
Zwei belgische Künstler waren angekündigt. Ben Bertrand, ein sympathisch verpeilt wirkender Hornbrillenträger, hat vor kurzem auf Les Atelier Claus Records sein Debut-Album veröffentlicht - fünf Kompsitionen für die Baßklarinette und ein Sammelsurium an Effekten. Was sich äußerst interessant liest, klang sehr interessant - mit Elementen minimaler Klassik, neuer Musik und rein elektronisch wirkenden Tönen (die selbstredend effektiert gespielt waren), eröffnete Bertrand einen, ich sach das mal so blöde, Imaginationsraum, den zumindest ich so noch nicht betreten habe. Bis dann im letzten Stück Vocal-Samples auftauchten. Ich hasse Vocal-Samples im allgemeinen, hier allerdings handelte es sich um geflüsterte Frauenstimmen, die klangen, als solle ein besonders ekelhafter Dämon beschworen werden oder als wäre es geröcheltes Rückwärtsfranzösisch oder eine ernsthafte, bösartige Version des Dr. Schaitan aus der Drei-???-Folge "Die singende Schlange". Eine völlig überflüssige Dreingabe, die auch noch eine der schönsten Kompositionen völlig ruinierte und mich nicht nur anwiderte, sondern wahrhaft ängstigte. Schade!
Am Plattenstand beäugte ich Bertrands LP "Ngc 1999", die mit einem ziemlich schönen Siebdruckcover von slowboy versehen ist, las in den Linernotes etwas von "Voices on Post Scriptum to Valentina Tereshkova" und ließ das gute Stück liegen. Dergleichen kann ich nicht im Hause haben! Ausgesprochen bedauerlich.
Jean D.L. als Zweiter im Bunde bearbeitet eine Gitarre, wie man das als Noisetyp halt so macht. Binnen kürzester Zeit bewegte er sich von einem zu langsamen Bill Orcutt zu einem zu schnellen Loren Connors, von einem unfähigen John Fahey zu einem zu normalen Jandek und so fort - leider vollkommen unspezifisch und letztlich uninspiriert. Zum Schluß hin, als er mit Schraubenzieher und Milchschäumer zu Werke ging, wurde es allerdings noch mal recht schön und interessant. Dennoch war's leider nicht wirklich nachhaltig. Ich verschwand schnellstmöglich.

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