Montag, 23. Januar 2006

Mit Wolf Biermann nach Westen

Vor nicht allzu langer Zeit besuchte ich die Bundeshauptstadt, um in einem Bordell ungestört meinen exzentrischen Vorlieben nachgehen zu können. Als ich das Freudenhaus nach getaner Lustarbeit verließ, sah ich ihn bereits im Foyer stehen: Wolf Biermann, den unbequemen Rabatz-Barden aus meiner schönen Heimatstadt Hamburg. Den Mantelkragen hochgeschlagen, so stand er da und dicke Schweißtropfen zeigten sich auf der zerfurchten Stirn. Ich rief mir ein Taxi und ließ mich zum Ostbahnhof chauffieren. Den derben Dichter hatte ich alsbald wieder aus meinem Gedächtnis gestrichen, und da die Reichsbahn zur Feier des Tages gebratene Leberwurst mit Prinzeßkartoffeln anbot, begab ich mich umgehend in den Speisewagen, wo ich mich zum kühlen Blonden setzte und der kulinarischen Großtat harrte. Am Nebentisch ließen sich zu meiner großen Freude der Schauspieler Henry Hübchen und der Schriftsteller Walter "Echoboy" Kempowski nieder! Ich saß und lauschte ihren wohlgeformten, von Belesen- und Bescheidenheit veredelten Sätzen, und kurz bevor der Zug gen Hamburg startete, wuchtete ein schweinsgesichtiger Heckenpenner eine Drehorgel durch die Türen des Speisewaggons: es war, wer hätte eine Sekunde gezweifelt, der Sänger Wolf Biermann. Da er Kempowski seit Jahr und Tag freundschaftlich verbunden ist, ließ er sich ächzend in die Bank neben Hübchen fallen, worauf dieser sichtlich indigniert reagierte. Biermann schaltete sich sofort ins Gespräch ein, besser: er riß es an sich, bestimmte die Themen (Wolf Biermann), holte eine rostige Leier hervor, mit welcher er seinen Begleitern die neuesten Kompositionen des "besten Dichters seit Menschengedenken" (Wolf Biermann) vorkrächzte und war in Volle und Gänze schlicht unerträglich (Wolf Biermann). Ein Ausbund an Aufdringlichkeit und widerwärtiger Wichtigtuerei. Ungefähr auf halber Strecke quakte er dann in einer Lautstärke, daß noch das arme Bettelmütterlein auf dem Bahnofsdach von Ludwigslust es hätte hören können, daß er "dringlichst zum Scheißhaus" müsse. Das Wort 'Scheißhaus' dehnte Biermann über Gebühr und abartig lustvoll. Kurz nachdem also der Trümmertroubadour in Richtung Abtritt gepoltert war, sprach der bis dahin äußerst schweigsame Henry Hübchen: "Mal ehrlich, Walter - wenn man ein Haus besitzt, das nichts weiter ist als eine klapprige Bretterbude, und es regnet ständig rein und der Wind fegt durch alle Fugen, daß es nur so eine Qual ist: dann hat man doch strenggenommen schlicht und ergreifend ein Scheißhaus." - Kempowski nickte anerkennend.

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