Freitag, 26. Oktober 2018

Der Herr Trific im erdbeerfressenden Drachen

Eine erstaunliche Überschrift, doch in Gänze sinnvoll. Der "Erdbeerfressende Drache" ist die in den Räumlichkeiten des ehem. Juweliers momentan tätige Restauration, und bereits mehrfach betrachtete ich auf dem Wege zur Sklavenarbeit die Speisekarte und speicherte diese als höchst interessant ab. Nun ist H. Wennefelder ein Mann der Tat, so wie einst Bismarck, und so nahm ich am gestrigen Tage, zur Essenszubereitung zu faul, die Liebste an die Hand und sprach: Gehe mit mir zum Erdbeerfressenden Drachen!
Es empfing uns ein freundlicher Jüngling und wies darauf hin, daß Donnerstags stets "Spieltag" sei, mit sonderlichen Spezial-Ideen, heute: Der Chefkoch hat sich frei genommen, an seiner Statt steht der Trific in der Küche (und kocht, selbstredend).
Ein kurzer Blick auf die Menükarte vermittelte den Eindruck, daß zu bleiben sich lohnen könnte, bei drei Gängen pro Person kam der Sparfuchs auf je 35 Euro hinaus; pro Gang gab es drei bis vier Positionen zur Auswahl, was dem wankelmütigen Volke sehr gut gefiel.
Ich daselbst wählte zur Vorspeise 'Knusprige Zunge', hernach ein Backhendl, schlußendlich Friesisch Blue am Haferkeks.
Die Wartezeit verkürzte ein Grauburgunder vom Winzer Habichvergessen, der jedoch ausgezeichnet den Abend einläutete. Barbarenhaft, diese Namensvergessenheit!
Die knusprige Zunge präsentierte sich leider paniert, wobei sich "leider" selbstredend nur darauf bezieht, daß ich ja somit zwei panierte Gänge hintereinander zu essen hatte - hätte ich das gewußt, wäre mir zum Entree sicherlich das Vitello Heilbutto, item Rosa Kalb mit geräucherter Heilbuttcreme und knusprigen Kapern oder so auf den Tisch gekommen, doch nun denn: bisweilen zahlt man halt für den selbst auferlegten Innereienzwang.
Der genannte Gang war ausgezeichnet - die Zunge zart wie ein Kalbsschnitzel, hochsensibel ausgebacken und mit exakt bißfesten Linsen sowie einer wirklich formvollendeten Malzbierreduktion dargeboten. Chapeau! Es kam die Frage auf, ob das Säubern des Tellers mit einer Brotscheibe gegen etwelche Tischregeln verstößt - bzw. kam sie eben nicht, es geschah einfach.
Das beste Backhendl aller Zeiten kam mir mal an einem phantastischen Sommertag in Innsbruck unter. Auch so eine Frage des Vertrauens, Geflügel allgemein, weswegen ich ja eigentlich gar keines mehr esse, und im Paniermehlmantel ohnehin. Hohe Ausbackkompetenz wurde ja schon oben konstatiert, und sie zeigte sich auch am Vogel. Ausgezeichnet! In der Salatschüssel präsentierte sich ein Gurkensalat, der sich mindestens mit jenem in der Veddeler Fischbraterei messen kann, ein halblauer Kartoffelsalat von Vorzüglichkeit sowie ein grüner Salat mit Kürbiskernöl. Und noch einer mit Sellerie oder so, der auch ausgezeichnet war. Es kam die Frage auf, ob das Abnagen des Hühnerbeines gegen etwelche Tischregeln verstößt, bzw. siehe oben.
Die Herzdame hatte sich, keine Experimente wagend, zum Hauptgericht ein geschmortes Schaufelstück mit Sellerie-Kartoffel-Pürree gewählt, auch hier war jede Komponente kompetent gefertigt, vom auf der Gabel zerfallenden Fleisch bis hin zum Jus mit Schalotten, und auch die Luftigkeit des Pürrees ließ nix zu wünschen übrig. Dennoch keimte in mir die Frage auf, ob Pürrees nicht in Siebeckscher oder gar Gremlizascher Grundsätzlichkeit abzulehnen sind: selbst in getrüffelter Variante kommen sie immer gemein, ja stopfend und kleinbürgerlich daher. Dennoch aß ich auch diesen Teller gerne leer.
Zum Abschluß präsentierte sich ein Friesisch Blue, der mir persönlich zu fest war, mit Haferkekskrümeln, von denen ich mir mehr gewünscht hätte und irgendeinem Senfkorngedöns; in der Kombination allerdings auch tadellos. Auch zum Dessert mußte ich auf dem Teller der Begleitung für tabula rasa sorgen, ein sehr solides Mousse au Chocolat mit eingelegten Quitten (die mir äußerst recht waren, ihr nicht). Vom Nachbartisch wurde ein dilettantisch mit Messer und Gabel halbblankgesäbeltes Hühnerbein abtransportiert, womit sich die obige Frage nun wirklich endgültig erledigt hätte, es sah grauenerregend aus.

Fazit: Hätte ich mich bei der Vorspeise nicht verwählt, wäre ich noch zufriedener gewesen, jedoch auch auf die Malzbierrreduktion verzichten. Ein Dilemma. Vierte Möglichkeit im Hauptspeisensegment waren übrigens Föhrer Miesmuscheln, und wie es der Zufall so brachte, sandte der Genosse Buhmann aus dem Bistro Carmagnole die Depesche, daß die dort verzehrten Miesmuscheln "überragend" gewesen seien. Es bleibt also spannend und noch viel zu tun.

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